Interessanterweise beginnt gerade die Schulmedizin, festzustellen, dass kranke Menschen, insbesondere chronisch Kranke und Palliativpatienten so etwas wie wichtige spirituelle Bedürfnisse haben, die es zu erfüllen gilt.
Dabei tauchen ganz alte Weisheiten auf, wie das Bedürfnis nach Liebe, Zugehörigkeit, Lebenssinn, Glaube an etwas Höheres, Ethik und Schönheit, um deren Signifikanz wir alle wissen, aber vielleicht nicht unbedingt spirituell genannt hätten.
Angemerkt sei auch noch, dass Bedürfnisse nach Entspannung, Erholung und Stille, so wie jeder spirituell Praktizierende sie in der Spiritualität erfüllt erlebt, wieder etwas vergessen werden.
Was ist denn schon spirituell?
Man wirft in der Wissenschaft und in Medien mit dem Begriff gerne um sich, ohne genau zu definieren, was man damit meint.
Aus unserer Sicht heisst spirituell sein, dass man sich mit dem Unsichtbaren beschäftigt, dass einerseits verbindend ist und andererseits erhebend. Man wendet sich also gedanklich und emotional dem ungreifbaren Licht zu, das Leben erschafft und alles durchdringt.
Diese Hingabe führt meist zu einer veränderten Wahrnehmung, aber vor allem zu guten Gefühlen der Leichtigkeit und Freude. Nicht umsonst nannte Friedrich Marx Religion das Opium für das Volk, weil die Aufmerksamkeit auf Gott Leute zu berauschen und glücklich zu machen scheint.
Lediglich die religiösen Lehren, die in zahlreichen missverständlichen Büchern, meist von Mystikern selbst verfasst wurden, sprechen von den oben genannten Bedürfnissen wie Weltsicht und Moral, die genau so gut von diversen atheistischen Philosophien ersetzt werden könnten.
Da war doch noch etwas?
Natürlich das Wort Liebe. Es darf in keiner Religion fehlen, denn diese Herzensaktivität, dieser Zustand der Verbundenheit und des Wohlwollens ist in jeder spirituellen Kultur ein wichtiges Element, im Christentum sogar sehr zentral. Im Prinzip kann man also feststellen, dass die Herzensbildung, also die Fähigkeit sich emotional zu öffnen und miteinander in Harmonie zu schwingen meist als Aufgabe der spirituellen Erziehung gesehen wird.
Es gibt kaum eine andere Disziplin, die sich so ausgiebig mit der Fähigkeit zu lieben auseinandergesetzt hat wie die spirituellen. Dabei wird sie natürlich weniger theoretisch betrachtet, sondern vielmehr angeregt zu fühlen und als Orientierung zu nutzen. Weiter noch hat sie jahrtausendelang die Aufgabe in der Gesellschaft über eheliche Partnerschaften als Verbindungen der Liebe und Fruchtbarkeit zu bezeugen.
Gott oder Götter
Von aussen betrachtet möchte man gerne Religionen als Kultusgemeinschaften sehen, die einen oder mehrere unsichtbare Götter verehren. Tatsächlich aber wird er oder sie zwar immer wieder erwähnt, doch der wirkliche Nutzen für den Einzelnen ist oft das Gefühl der Zugehörigkeit und Geborgenheit einer Gruppierung, egal ob sie eine grosse Mehrheit oder eine kleine Randgruppe in der Bevölkerung ausmacht. Dadurch entsteht auch ein Art von Identität oder Selbstbild, das durch Riten und oft auch zur Schau getragener Kleidung noch unterstrichen wird.
Wie man Gott nennt oder welche Eigenschaften er hat ist Teil einer Lehre, die im Prinzip dazu dient gewisse moralische und ethische Werte zu festigen, die nicht nur innerhalb der Kultusgemeinschaft sondern auch gegenüber Andersdenkenden gelebt werden soll. Genau diese Attribute jeder Glaubensgruppierung gibt dem Mitglied Kraft und Bedeutung, die die Frage nach dem Sinn des Lebens und der eigenen Rolle beantworten soll, mit der sich Ungläubigen so häufig plagen.
Psychologie als Ersatz
Seit dem Zeitalter der Aufklärung versucht man in der westlichen Welt durch diverse Wissenschaften das Weltbild der Religionen ersetzten, nicht zuletzt um den Machtmissbrauch einzelner Kleriker zu unterbinden. Ein Unterfangen, das viele in das Dilemma bringt, weil lediglich die spirituellen Lehren ganz wesentliche Antworten und Hilfestellungen geben kann, die Wissenschaften aber gerne genau diese Lehren als Humbug oder Unsinn bezeichnen wollen.
Reduziert man den Glauben an etwas Höheres auf einfache emotionale Irreführungen, dann irrt die wissenschaftsgläubige Kritik erst recht. Denn dann wäre die Psychologie gefordert, dem modernen Menschen ganz klar aufzuzeigen und anzuleiten wie man sich ein gutes Leben gestaltet. Und genau das sollte dann bereits an Schulen unterrichtet und von Grundschullehrern vorgelebt, denn man lernt schliesslich durch Nachahmung am besten.
Dass sie das nicht tut, ist ein klares Zeichen dafür, dass sie bei weitem nicht die Antworten geben kann, die wir brauchen.
Fortschritte
Schön langsam arbeitet sich die Neurologie und die Bewusstseinsforschung auf dieses Territorium vor, das bereits in der Sportwissenschaft durch Mentaltraining und Entspannungstraining Eingang gefunden hat. Der Verstand als Motor und die Emotionen als Orientierung um Ziele zu erreichen und selbstbestimmt ein gutes Leben zu erschaffen.
Deshalb will ich auch noch meine Ansicht über die spirituellen Bedürfnisse des Menschen einfach so zusammenfassen:
Klarheit, Harmonie und Stille sind für mich drei ganz wesentliche Elemente für mein Leben um genau diese Selbstermächtigung zu leben, die sich nach und nach auch durch die Wissenschaft eröffnet. Gerade wenn unsere Neurologen bestätigen, dass wir durch unsere Wahrnehmung selbst unser Erleben steuern und durch unsere Gedanken unsere Erfahrungen beeinflussen.
Die Fähigkeiten unsere Gedanken und Gefühle selbst zu bestimmen oder gar festzulegen ist eine Kunst, die endlich gelehrt und beherrscht werden muss. Und im Moment haben einige spirituelle Strömungen diesbezüglich mehr Hilfestellung und Techniken im Angebot als selbst die anwendungsstärksten Wissenschaften. Vielleicht ist die Pflege dieser Künste genau deshalb unser grösstes spirituelles Bedürfnis im Augenblick ….