Gestern kamen meine Nachbarn aus ihren Ferien zurück und ich fand es höchst erfreulich sie zu einem einfachen Sonntagsessen bei mir einladen zu können.
Dieses reizende Rentnerpaar ist zu einem Teil meiner selbstgewählten Familie geworden, nicht nur weil wir nebeneinander wohnen, sondern unter anderem auch, weil die Sympathie zueinander so groß ist.
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Oft sehe ich sie wie eine Tante und einen zusätzlichen Onkel an, die stets hilfsbereit und fröhlich an meinem Leben mehr teilnehmen als meine Blutsverwandten in der Ferne. Zugegeben ist meine Ursprungsfamilie tatsächlich geographisch weit verstreut und der Kontakt mittlerweile auch recht sporadisch geworden.
Aber auch nicht jeder kommt mit jedem so gut aus oder teilt zumindest irgendwelche Interessen oder Vorlieben. Das macht sich an den seltenen Familientreffen bemerkbar, wo man nach Gesprächsstoff miteinander sucht oder ohnehin völlig aneinander vorbei redet. Natürlich nimmt man sich dann vor, sich wieder öfter zu sehen, doch meist fallen die geplanten Besuche ins Wasser oder werden schlichtweg beidseitig vergessen. Und das ist auch völlig in Ordnung so, denn schließlich verbindet einen manchmal nur mehr der Familienname oder gemeinsame Erbschaften.
Erinnerungen
Selbst Erinnerungen an frühere Tage scheinen vorn Person zu Person stark abzuweichen, beinahe als ob man von unterschiedlichen Ereignissen spräche. Was dem einen wunderbar verklärt erschien, hat der andere als schrecklich oder konfliktbeladen im Gedächtnis. Im schlimmsten Fall kommen alte Verletzungen wieder hoch und Vorwürfe über längst verjährte Beleidigungen und Ungerechtigkeiten machen die Runde.
All das kann man natürlich für sich selbst heilen indem man die Distanz sucht und mit den diversen Methoden Frieden und Harmonie bei sich zu schaffen versucht. Zurück bleibt allerdings ein bitterer Nachgeschmack und eine Gruppe von Leuten, die sich von einem gemeinsamen Ausgangspunkt in unterschiedliche Richtungen entwickelt haben. Natürlich bleiben dabei einige näher aneinander als andere, doch jedem sei heutzutage die Freiheit eingeräumt, seinen Weg völlig eigenständig selbst zu wählen.
Realität
Meine Lieblings-Cousine und ich haben etliche Gemeinsamkeiten, abgesehen von den Zähnen unserer Großmutter und der Sturheit unserer Mütter, ist das eine besondere Vorliebe für Hunde, eigentlich Tiere aller Art. Gerade von Haustieren kann man extrem viel lernen, weil uns Säugetiere doch sehr viele gemeinsame Instinkte verbinden und natürlich auch Bedürfnisse.
Unsere zahlreichen Haushunde sind natürlich adoptierte Familienmitglieder, auch wenn sie keiner um ihr Einverständnis gefragt hat. Ich verwehre mich ausdrücklich dagegen als Hundemutter bezeichnet zu werden, sondern sehe mich vielmehr als Anführer eines Rudels, das sowohl aus Tieren als auch aus Menschen besteht und man salopphin als meine Kernfamilie bezeichnen könnte. Natürlich besteht meine erweiterte Familie aus weiteren selbstgewählten Mitgliedern, wie die oben erwähnten Nachbarn, guten Freunden und einigen tatsächlichen Blutsverwandten.
Normal
Es gibt viele Leute, denen es ähnlich ergeht, und die sich im Laufe der Zeit ihr soziales Umfeld – bewusst oder unbewusst – derart gestaltet haben. Tatsächlich ist es heutzutage die Ausnahme, dass Geschwister ihr Leben lang zusammen leben oder toxische Partnerschaften aus wirtschaftlichen Gründen bestehen bleiben.
Auch wenn man in einer Wohlstandsgesellschaft wie der unseren eine starke Zunahme an Toxizität in allerlei Verhältnissen bemerken kann, woran meiner Ansicht nach die Massenmedien eine große Mitverantwortung tragen, finden sich doch noch gute Beziehungen.
Wirklich gesunde und stärkende Freundschaften entstehen da nicht mehr aus einer Not heraus oder einer Weisheit, die das Überleben sichert, sondern vielmehr für den Luxus des Wohlbefindens oder der Weiterentwicklung. Egal wo man diese Seelenverwandte trifft, ob bei der Arbeit, im häuslichen Umfeld oder gar beim Yoga, entstehen oft Bindungen die tiefer und stärker sind als die unter Geschwistern.
Instinktiv
Es zieht uns also zu Leuten und Tieren hin, die uns so sein lassen, wie wir gerne sein wollen, ohne der Gefahr wieder in alte, negative Verhaltensmuster zu verfallen. Ram Dass, ein großer spiritueller Lehrer pflegte den Spruch: „ Wenn du glaubst du bist erleuchtet, dann geh hin uns verbringe eine Woche Zeit mit deiner Familie.“ Damit meinte er natürlich die Ursprungsfamilie, denn unsere tatsächliche Lebensfamilie besteht mittlerweile, wie mein Rudel aus selbstgewählten oder zugelaufenen Angehörigen.
Das gibt uns die Möglichkeit zu wachsen und uns neu zu erleben, aber auch neue Perspektiven und Rollen einzunehmen. Solange uns nicht der Groll, sondern die Neugier und Kreativität antreibt, können wir dadurch auch neue und oft unerwartete Situationen und Zustände erleben. Genau das, was unsere innersten Sehnsüchte erfüllt und uns einen Reichtum an Erfahrungen machen lässt.
Selbstbestimmt
Abgesehen von der Partnerwahl scheint es kein richtiges Bewusstsein für diesen Aspekt der Selbstbestimmung zu geben, denn heute noch beherrscht unsere Denke noch die juristische Definition für Familie. Blutsverwandtschaft oder angeheiratete Verwandtschaft sind jedoch sekundär geworden und gerade deshalb manchmal ein Konfliktherd, weil gefühlt unsere gelebtes Rudel tatsächlich die emotionale und soziale Geborgenheit einer Familie bietet.