Im 13. Jahrhundert hatte der Rabbi Moses von Leon in Spanien eine grossartige Idee: er schrieb wundersame Lehrgeschichten eines angeblichen weisen Rabbis aus dem 2. Jhdt auf, die erklärten wie die Thora resp. das alte Testament richtig zu interpretieren war. Zudem behauptete er diese Texte nur von alten Schriften abgeschrieben zu haben, die auf aramäisch verfasst waren, so wie die ursprüngliche Bibel selbst. Von Guadalajara aus wanderte dieses angeblich antike Werk an den Königshof von Castillien zur Sensation unter den damaligen Wissenschaftlern und Anführern aller Religionen wurde.
Das Kernstück der Kabballah
In einem Buch zusammengefasst entstand damals das zweite grosse Werk der jüdischen Religion, das den Namen „Zohar“ – das Leuchtende – verliehen bekam. Es blieb meist den Gelehrten vorbehalten sich mit diesem revolutionären Werk zu beschäftigen, vielleicht hätte es zu sehr an den Grundfesten der patriachalischen Gesellschaft gerüttet, denn plötzlich war Gott auch weiblich und nicht mehr nur „der Vater“. Daher beschrieb man gerne den Zohar ( oder auch Sohar) als Grundbaustein der jüdischen Geheimlehre, der Kabballah.
Viele Inhalte dieser Lehre wurde natürlich auch von Gelehrten anderer Religionen studiert und übernommen, so entstand auch die christliche Quabala oder Caballa. Dank einer wunderbaren Übersetzung von Prof. Daniel Matt aus dem Aramäischen ins Englische, sind die Texte des Zohars jetzt auch allgemein zugänglich gemacht worden und passt sehr gut in unsere Zeit. ( Titel: „Zohar – Pritzker Edition“).
Ich will mich hier in diesem Artikel auf eine handvoll spannender Punkte aus der Schöpfungsgeschichte ( Genesis) beschränken.
1 Novum: Gott ist formlos und überall
Jeder kennt das Zitat von der Erschaffung der Welt: „Am Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott“ – oder so ähnlich, weil es da etliche Variationen gibt. Nun der Zohar leitet an diesen Anfang anders herum zu verstehen, nämlich dass das Wort Gott erschaffen hat.
Das ist vielleicht etwas schwierig zu verstehen, aber da Gott keine Form besitzt, aber das Wort Form verleiht, musste das ewig Seiende, die Ur-substanz irgendwie benannt werden. Und diese Ursprügngliche Substanz wird auch als Licht bezeichnet, aus dem alles andere später geformt wird, auch die ersten Menschen.
2 Novum: Gott ist in uns und nicht draussen irgendwo
Logisch also dass alles was aus dieser Substanz entsteht sie selbst auch in sich trägt. Also Schluss mit dem alten Mann mit dem weissen Bart irgendwo da draussen, sondern Blick in Richtung auf uns selbst, oder unser Inneres wenn man so will.
Das Göttliche in uns zu spüren und auch zu verstehen ist Bestandteil jeder Religion, insbesondere der Mystiker und Esoteriker, die keine Autorität im Aussen mehr benötigen um Antworten und Klarheit zu bekommen.
3 Novum: Gott ist auch weiblich ( na endlich!)
Zuerst wurden zwei ebenbürtige Menschen erschaffen, nämlich Adam und Lilith, als Gottes Ebenbild. In manchen Überlieferungen war der erste Mensch auch ein Zwitterwesen, um zu verdeutlichen, dass das Göttliche beide Qualitäten in sich vereint. Allerdings wirft diese Geschichte einige biologische Fragen auf, weswegen man sich lieber auf die stimmigere Version von einem Pärchen konzentrieren mag.
Lilith war eine Frau von starkem Selbstvertrauen, ausgeprägter Kreativität und von gleichem Rang wie ihr Partner Adam. Als es zu einem Zerwürfnis der beiden kam zog sie sich an einen Ort am roten Meer zurück und hinterliess eine Lücke in Adams Leben. Kurz darauf soll Adam diese mit einer neuen, unterwürfigeren Kreation gefüllt haben, die er aus dem Knochen einer alten Ziege entstehen liess, nämlich Eva.
Es gibt viele Sagen und Märchen, die Lilith verunglimpfen und zu einem Monster machen wollen, ja sogar zu einer Dämonin. Ganz offensichtlich war den Patriarchen der Bibelkunde diese starke Frau unbequem und man versuchte hier mit Eva ein Ersatz- Frauenbild zu zeichnen. Der Anfang vom Ende im Paradies, das Adam und Eva bald darauf verliessen.
4 Novum: Lilith ist nicht böse
Der Zohar geht recht intensiv auf göttliche weibliche Qualitäten ein, ähnlich wie man sie aus anderen antiken Religionen kennt. Mutter Erde, Gaia kann man sich als Inspiration dieses femininen Teil Gottes vorstellen, die zahlreiche Tugenden und positive Eigenschaften aufweist. Natürlich auch die obig erwähnten Stärken wie sie Lilith aufwies, aber auch mütterliche Weichheit von Eva, nicht aber deren Nachgiebigkeit und Unterwürfigkeit.
Besonders ihre Fähigkeit kreativ zu träumen und Neues im Geiste zu erschaffen hebt sie den maskulinen Qualitäten ab. Wir würden sicherlich auch Intuition und Mitgefühl, aber auch die weibliche Führungsrolle an ihr honorieren.
5 Novum: Adam ist nicht dumm
Warum es zum Streit zwischen Lilith und Adam kam, wird meist damit beschrieben, dass Lilith die gleiche Dominanz forderte. Oft wird das mit dem Geschlechtsakt beschrieben, bei dem Lilith angeblich auch oben liegen wollte. Doch das ist sicherlich nur eine Metapher für Liliths Anspruch auf Gleichberechtigung und ihrem unwiderstehlichen Drang auch Neues auszuprobieren.
Nachdem Eva in Adams Leben kam lief es ja nicht gerade besser. Denn auch wenn Eva völlig loyal war, wurde den beiden schliesslich die Schlange am Baum der Erkenntnis zum Stolperstein. Der Baum stellvertretend für den Verstand und die Schlange als Symbol für die Zeit, kann man als folgendermassen verstehen: wenn unser Denken zu weit in Zukunft oder Vergangenheit abschweift, können sich leicht falsche Bewertungen einschleichen und uns das Leben zur Hölle machen.
( Dazu meint der Zohar auch noch, dass die beiden das Paradies gar nie verlassen hätten sondern vielmehr umgekehrt; das Paradies sie– wie auch immer man das verstehen will)
Spekulation ….
Viel von diesen Erkenntnissen ist natürlich auch in den christlichen Glauben eingesickert, abgesehen von dem Frauenbild einer starken und kreativen Lilith, die ebenbürtig und verehrenswert ist. Aber auch das ist nur eine Frage der Zeit, bis sich nämlich unsere alten Kirchenfürsten von einem männlichen Gott verabschieden müssen.
Ich denke, dass diese Schöpfungsgeschichte historisch etwa auf 4.000 v.Chr. Stattgefunden haben müsste, da ältere Tradition von einem grossen Wandel in den gesellschaftlichen Ordnungen berichten. Davor scheint es viele Kulturen gegeben zu haben, die von Frauen regiert und wahrscheinlich auch dominiert wurden. Sie erklärt uns jedenfalls sehr gut, was zu tun ist, um die weiblichen und männlichen Energien wieder in Harmonie zu vereinen, so wie der Zohar das Hauptziel der spirituellen Bestrebungen vorgibt.