„Schneller, weiter, stärker“, war mal die Vorgabe zur Motivation der Olympioniken, ihre Übertreibung hat allerdings unsere Kultur vergiftet. Nicht mehr die unsichtbaren, humanen Werte werden geschätzt, sondern vermehrt müssen Zahlen, Daten und andere Fakten auf den Tisch. Wer genug Geld hat um Zahlen zu kaufen, der kommt an die Macht und gewinnt noch mehr.
Bewertung durch Zahlen
Statistiken und Auswertungen bestimmen die Qualität der Arbeit und konsumieren dabei viel wertvolle Zeit – besonders schmerzhaft im Gesundheitswesen spürbar.
Eine Pflegerin hat fünf Minuten Zeit um den alten Menschen morgens zu betreuen und die Dokumentation der Arbeit verbraucht beinahe die Hälfte der Zeit einer Krankenschwester.
Lehrer werden an den Noten ihrer Schüler und an Pisa-Tests gemessen, Steuerprüfer an der Höhe der Nachforderungen die sie von den Steuerpflichtigen einholen, Verkehrspolizisten an der Höhe der Strafmandate.
Verrückte Welt, nicht wahr?
Wer steckt da dahinter?
Das führt unweigerlich zu ethischen Konflikten, zu Stress und Burnout. Hinzu kommen Sparmaßnahmen, die das Arbeitsumfeld unfreundlich und teilweise sogar ungesund machen. Tendenzen, die Kaderleute als Modernität oder Zeichen der Zeit feiern und sich damit brüsten.
Es gilt also sich diese Entscheidungsträger auf mittlerer Ebene und auch ihre Vorgesetzten genauer anzusehen, die diese Entwicklung mit Feuereifer und Blindheit voran treiben.
Warum?
Ganz einfach weil Fakten „IN“ sind und angeblich beweisbar. Angeblich sind sie objektiv und ermöglichen einen neutralen Vergleich.
Experten und Fachleute jedoch weisen auf ihre Manipulierbarkeit hin und erinnern daran, dass alles nur bedingt messbar ist. Oder wie Winston Churchill es einmal so treffend formuliert hat: „Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast.“
Konsequenzen
Es sind meist die Geschädigten, denen auffällt, dass bei diesem Zahlenwahn nicht nur die Menschlichkeit auf der Strecke bleibt, sondern auch schlichtweg die Vernunft.
Aber auch ein anderes Phänomen ist zu beobachten, nämlich das der Zahlen-Nachlauferei. Nicht nur Politiker, Fernsehmoderatoren, nein sogar ganz einfache Büroangestellte müssen sich jetzt nach den numerischen Vorgaben richten, die irgendeine Software berechnet hat. Angefangen von der Länge der Telefonate bis hin zu Mitarbeiterbewertung und anderen sogenannten objektiven Maßstäben.
Aber auch unsere so hochgelobte Demokratie ist doch nichts anderes als ein reines Zahlenkonstrukt, denn die meisten Stimmen wählen den Gewinner, nicht den besten Kandidaten.
alte Krankheit, neue Auswüchse
Doch es ist kein neues Phänomen, dass die Menschheit die Persönlichkeiten in den Mittelpunkt stellt und öffentlich hochhält, die es zu Höchstleistungen gebracht haben. Sei es in finanzieller Hinsicht, oder auch in sportlichen Disziplinen oder gar in der Politik. Dabei zählt weniger das WIE, als mehr der Erfolg auf der Karriereleiter um große Aufmerksamkeit zu bekommen.
Ein Tyrann oder ein Menschenfreund, ein Umweltschützer oder ein rücksichtsloser Sünder, beide bekommen mediale Plattformen und werden besprochen. Meist zeigt es sich sogar, dass man sich lieber skandalösen Verhalten oder Situationen mehr widmet und sie ausweidet, als solche die es eigentlich zu loben gäbe.
Bahn frei für Narzissmus
Angesichts von so viel dummer Oberflächlichkeit ist es doch nicht verwunderlich, dass gerade die USA mit einem Paradebeispiel eines Narzissten auftrumpft. Doch die Verurteilung von Verhalten oder die Ablehnung gewisser Aussagen, nützt ja überhaupt nichts. Denn er hat die Aufmerksamkeit aller.
„There is no such thing like bad publicity“ – also es gibt eigentlich keine negative Aufmerksamkeit. Und unsere Energie folgt der Aufmerksamkeit, das wissen alle antiken Lehrmeister. Also wer im Mittelpunkt steht, der hat nicht nur Macht, er beeinflusst eben auch andere – unbewusst. Als Vorbild quasi.
was ist Normopathie?
Uns muss einfach klar sein, dass wir mit solchen kranken Leuten im Scheinwerferlicht ihre Krankheit noch weiter verbreiten. Ja, gerade zu normal machen oder gesellschaftsfähig. Selbst wenn wir sie ablehnen, verurteilen und anprangern. Also das Krankhafte wird schleichend und unbemerkt immer normaler und selbstverständlicher.
Das gilt auch für die Aufmerksamkeit auf Mörder und Schwerverbrecher, aber auch für die Schwächen anderer VIPs wie Süchte, moralische Fehlverhalten und dramatische Schicksale.
Durch die überproportionale Beschäftigung damit, erreichen wir im Prinzip nur, dass wir sie immer stärker im Bewusstsein verankern und so eher nachahmen.
Sieht man sich einmal an welche Unterhaltungssendungen im Fernsehen angeboten werden, dann drehen sich mehr als die Hälfte um Mord und Totschlag. Besonders starkes Interesse regen kranke Persönlichkeiten, wie die von Gewaltverbrechern oder politischen Tyrannen.
Wen wundert es dann, dass wir noch immer Krieg haben?
schleichende Veränderung
In einer medial gesteuerten Welt wird diese Gaffer-Schwäche der Konsumenten knallhart ausgenützt und in Cash umgesetzt. Diese Dynamik trägt aber ursächlich zum emotionalen Unwohlsein bei, das bald einen Klimax erreicht haben muss. Denn es wird schier unerträglich sich weiterhin so ausgiebig mit Missständen zu beschäftigen und sie normal werden zu lassen.
Alternative Medien haben dies längst erkannt und bieten mit einem ausgewogenen Programm auch Raum für Innovatoren und Visionäre. Genau das wird auf wachsendes Interesse stoßen, denn wir hungern regelrecht nach positiven Ausblicken und Träumen.
Aufatmen
Beinahe wie ausgestorbene Tiere beobachten wir ungläubig diese Optimisten, die nach neuen Wegen suchen und sich getrauen zu experimentieren.
Zugegeben – sie sind rar, aber sie sollten unsere neuen Vorbilder und Idole werden.
Denn Sie bringen einen frischen Wind in das verpestete Klima, das wir uns erschaffen haben. Das wird uns angesichts ihrer Seltenheit immer klarer.
Umso mehr wir also aus Existenzangst nach Luft ringen, umso mehr erkennen wir, dass sie uns den Sauerstoff liefern, den wir dringen zum Leben brauchen.