Labels – Fluch oder Segen?

Wieder ist es dieses tückische Ego, das uns in diese verzwickten Miseren bringt, wenn es fragt „Wer und vor allem Wie bin ich?“

Dabei merkt es gar nicht, dass es dem wahren Selbst völlig egal ist, sondern die Gedanken rund um die eigenen Person stoben munter durcheinander.

All die Selbstkritik und die Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben muss doch einen Grund haben – nicht wahr?

Und wenn nicht die anderen Schuld sind, dann eben weil wir besonders sind und mit ganz besonderen, meist unerkannten Fähigkeiten und Eigenschaften ausgestattet sind. Und unsere Kinder erst recht, denn niemand ausser uns scheint den Genius in den Kleinen zu sehen, stattdessen werden sie anhand von Normen und Idealbildern abqualifiziert.

Also müssen neue Ideale oder zumindest Menschenbilder her, die erklären warum diese angeblichen Defizite, diese Gefühle anders zu sein, ihre Berechtigung haben und ihren Zweck im Leben.

der Hype um Labels

In der Populär-Psychologie entspinnen sich da Persönlichkeitstypen, Hochsensibilität oder Hochbegabungen, die derzeit Hochkonjunktur erleben.

Während man in der Esoterischen Szene von verschiedenen Seelen spricht, die entweder besonderen Ursprungs sind, oder gar sich höher entwickelt haben als andere. Den Widerspruch in sich scheint innen drinnen keiner zu bemerken, denn das Ego hungert nach positiven Eigenschaften, die das Selbstbild verschönern. Von Aussen aber erntet man schnell Spott und Hohn für diese Selbstbeweihräucherungen, weil diese Geschichten alle keinen Sinn machen.

Der Seele, dem Selbst oder Bewusstsein sind diese Labels nämlich scheissegal, denn es differenziert nicht. Es ist. Undefiniert und unendlich, jederzeit.

Wer erkennt, dass jede Etikettierung und jede Stigmatisierung der eigenen Person oder von anderen völlig unstimmig ist, hat viel gewonnen. Denn er versteht wie dynamisch das Leben ist, wie veränderbar und facettenreich jeder Mensch ist. Das Potential, das jedem zur Verfügung steht kann heute ausgeschöpft und morgen mit Füssen getreten werden.

Es gibt keine richtig treffenden Hauptwörter für Menschen, wie Mutter, Reicher, Mörder, Held oder Furie. Jeder hat alles in sich und kann es nach seinem eigenen Gutdünken leben, manchmal bewusster, öfter mal unbewusst.

Wir sind aber ständig in Bewegung

Das ist der grosse Irrtum, die eigentliche Fehlannahme der Wissenschaft, die das Innere des Menschen zu ergründen versucht. Man glaubt er sei statisch wie ein Foto oder zumindest würde er sich nur langsam verändern. Dabei spielen Umgebung, Tagesverfassung und Stimmungen mit, wie wir uns verhalten und welche Seite von uns wir gerade ausleben.

Da werden also Test und Untersuchungen in Labors gemacht, die das alltägliche Leben gar nicht reproduzieren können. Daraus bauen dann einige Modelle, und verstehen dann nicht, warum sie in der Realität nicht funktionieren.

Viele beschäftigen sich unzählige Stunden damit nachzudenken, wie diese Labels, diese Kategorisierungen der Menschen tatsächlich aussehen. Wir wollen Schubladen und scharfe Kriterien dafür wie sie genau aussehen. Diese Einteilungen werden dadurch zunehmend komplizierter und unüberschaubar komplex, was wiederum sehr unbefriedigend ist. Schliesslich will man damit ein einfaches, überschaubares Bild der Menschheit zeichnen.

WARUM lieben wir diese Labels trotzdem?

Nicht nur, weil man ein einfaches Weltbild will. Das schon auch, aber Labelling hat noch einen grossen Vorteil für den Einzelnen: es befreit.

Jedes Label gibt uns Freiheit unser Potential ein Stück mehr zu leben und von der „Norm“ abzuweichen. Wobei allerdings nur selten erkannt wird, dass diese Normvorgabe selbst ein ganz subjektives, selbsterzeugtes Phantasieprodukt ist.

Was schon klarer erkannt wird, ist die eigene Unzufriedenheit mit sich selbst, gewissen Verhalten gegenüber oder bestimmte Ziele nicht erreicht zu haben. Aber anstatt die eigenen Vorstellungen zu reflektieren und zu überarbeiten, konstruieren wir verschiedene Menschentypen resp. Seelen.

Die Labels, die uns zunächst noch vorteilhaft erscheinen verlieren allerdings nach einiger Zeit ihre Kraft. Was vorerst noch erleichternd bis euphorische Wirkung hatte wird nach und nach zu einer Bürde. Denn nicht nur müssen wir anderen erklären warum und wieso wir sind wie wir sind, wir urteilen dadurch auch über andere Menschen, die eben nicht so sind.

nach dem Ablaufdatum

Was viele dabei nicht erkennen ist, dass jedes Label auch ein Stigma sein kann, das uns begrenzt anders zu sein oder zu werden. Denn keine Typologie ist so umfangreich oder offen, dass sie uns die Freiheit gibt und schnell zu verändern. Mehr noch: häufig werden durch diese positivgezeichneten Etiketten, fundamentale Defizite kaschiert, die eigentlich nicht behalten werden sollten. Darunter viele Ängste, schlechtes Gewissen und mentale Schwäche.

Genau deshalb wird aber an diesen Etiketten besonders stark festgehalten, anstatt sie als Sprungbrett zur Selbsterkenntnis zu nutzen – selbst von Therapeuten, die sich ja mit dem Loslassen dieser negativ Konstrukte beschäftigen.

Beispiele für Überlagerungen

Scannerpersönlichkeit überdeckt häufig die Unfähigkeit die eigenen Gedanken zu kontrollieren, und deshalb wird nicht erkannt, dass eigentlich Meditation und Mentaltraining dringend nötig wären um wieder selbstbestimmt zu leben. Ähnlich verhält es sich mit dem Label Hochbegabung, das auch herhalten muss, wenn der Verstand nicht aus seiner Hyperaktivität gebracht werden kann.

Hochsensibilität ist genau dann eine gute Entschuldigung, wenn die emotionale Reaktivität enorm hoch geworden ist und dabei die mentalen Widerstände und Ablehnungen eigentlich abgebaut werden sollten. Das erklärt auch warum gerade Hochsensibilität auch mit Narzissmus gepaart häufig auftritt.

Besondere Seele ( da gibt es so viele unterschiedliche) dient gerne dazu die eigenen Konflikte im Inneren auf andere zu schieben und ihnen Neid oder Unverständnis vorzuwerfen. In Wirklichkeit sind die Auslöser Sorgen und andere mentale Zweifel, die sich häufig auch in heftigen Emotionen zeigen.

Indogokinder und Kristallkinder sollten ja eigentlich eine ganz wertvolle Seite aufzeigen, werden aber gerne zur Verhinderung von harten Lernprozessen und zum Beglucken von Kindern genutzt.

Aufdecker und Gutmenschen sind beinahe missionarisch unterwegs und fortlaufend mit dem anprangern von Missständen beschäftigt. Doch hinter der Mission liegt eigentlich die Angst übervorteilt, überrollt zu werden oder unterzugehen, eine Existenzangst also.

Genau das sind solche Gründe warum wir Labels lieben, denn sie bieten dem Ego einen billigen Ausweg, um sich mit den eigenen Defiziten zu arrangieren.

In Wahrheit aber tappen wir dadurch leicht in die Falle, überall Böses zu wittern, weil wir uns ständig vor angeblichen Neid und Missgunst schützen müssen. Sobald wir uns nämlich selbst als etwas Besonderes darstellen – und diesen Drang haben wir nun mal – werden wir andere indirekt als unterlegen bezeichnen. Anstatt das ungute Gefühl dabei auf diese Negativbewertung zurück zu führen, projizieren wir es lieber auf die Eifersucht anderer.

Dabei erschaffen wir selbst eine Trennung zwischen uns und irgendwelchen anderen Leuten, anstatt den Spiegel zu sehen. Wie im Innen so im Aussen.

Du bist ein Genie.

Du kannst alles sein und haben, was du willst.

Du bist das Ebenbild Gottes, und von dem sollst du dir kein Bild machen.

Als wir Kinder waren, da war uns dieses Ego, dieses Selbstbild noch völlig egal. So wie unseren Haustieren, die sich auch nicht darum scheren.

Warum also lassen wir unseren Kampf mit diesem scheinbaren „ICH“ so wichtig und zentral werden? Weil er die Ursache dafür ist, dass wir uns und unsere Ängste nicht stellen müssen.

Dieser übergrosse Verstand des Menschen hat ein riesiges Kuddelmuddel angerichtet, anstatt sich lediglich kreativ und konstruktiv zu betätigen.

Er ist defensiv und aggressiv geworden und erkennt schön langsam, dass es keinen Spass macht alles kaputt zu machen oder sich ständig schützen zu müssen.

Es ist meiner Ansicht nach die Aufgabe der Spiritualität und ihrer Praxis wieder Klarheit und Ordnung in den Verstand zu bringen. Wahrheit und Leichtigkeit sind die Prämissen, denen wir wieder folgen werden, wenn die somatische Kraft stärker wird und sich emanzipiert hat.

Alles ist in jedem vorhanden und bleibt nicht einem auserwählten Volk vorbehalten, sondern kann gemeinsam entdeckt und ausprobiert werden.

Praktisch umgesetzt würden wir gerne all unsere Zukunftssorgen ersetzen mit unseren Visionen und Wünschen einer besseren Welt und eines besseren Lebens. Auch all diese Gedanken rund um unsere eigene Person ( „Was soll nur aus dir werden?“) würden wir gerne mit kreativen Neukompositionen ersetzen, die sich erst sehr langsam und ungeduldig erwartet, entfalten. Sie brauchen zwischenzeitlich Leere und Raum ( a big nothing) um sich niederlassen zu können und wirklich Neues zu erschaffen.


Alles Liebe,

 

Susanna

Post Author: Susanna

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